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- einst Ackerbürgerhaus, heute Dienstleistungsgebäude der DEVK Dr. Theo Bönemann
Das Haus Cordes, Hönnetalstraße 1 – das Nebengebäude trägt die Hausnummer 3 – ist im Torbogen auf das Jahr 1790 datiert. Das Erbauungsjahr verweist auch auf den für die Stadt verheerenden letzten Stadtbrand Balves (1789), dem auch das ursprüngliche, innerhalb der Stadt gelegene Haus des Bürgermeisters Franz Cordes zum Opfer gefallen war.
Der geschädigte Bürgermeister Cordes errichtete nach dem Brand umgehend das noch heute imponierende Wohnwirtschaftsgebäude nebst separatem Nebengebäude, in repräsentativer und günstiger Lage an der Hönnetalstraße und als Blickfang für ein- und ausfahrende Besucher der Stadt. Die Gebäudeanlage steht unter der Listennummer 100 seit dem 30. 1. 1985 unter Denkmalschutz. Nach den letzten Jahren in zunehmend desolatem, nahezu abbruchwürdigem Zustand wurde sie jüngst von Tonnen von Müll und Hausrat befreit. Der neue Eigentümer Thomas Schröder gab der Anlage durch einen hohen Einsatz von Mitteln ihre angemessene Würde als Geschäftsgebäude zurück. Die einst außerhalb der Stadtmauern errichtete Gebäudeanlage ist nun erneut Blickfang für den Betrachter. Inzwischen ist hier wirtschaftliches Leben in Form des Dienstleistungszentrums einer Versicherungsgesellschaft (DEVK) eingekehrt. Balve besaß zu Beginn des 19. Jahrhunderts 5741 Morgen Gemarkungsfläche, davon doppelt soviel Waldfläche (3532 Morgen) wie Ackerland (1626 Morgen) und nur 216 Morgen Wiese. Das legt nahe, dass der größte Teil der Bürger seine Selbstversorgung auf eigenem oder gepachtetem Boden sicherstellen konnte. Die preußische Grundstücksvermessung im Jahre 1829 belegt die Dominanz der land- und forstwirtschaftlichen Tätigkeit auch des Bürgers Cordes: Unter den achtundachtzig an Grundbesitz vermögenden Bürgern der Stadt Balves lag er an achter Stelle. Er verfügte über 43,59 Morgen Ackerland, 41,58 Morgen Wald, 5,87 Morgen Wiesen, 2,13 Morgen Gärten und 0,64 Morgen Grundflächen für sein Haus nebst Remise: insgesamt fast 94 Morgen.
Hermann Cordes, Sohn, Erbe und zweiter Eigentümer des Hauses Cordes an der Hönnetalstraße, gehörte 1829 zu den an Ackerland äußerst wohlhabenden Bürgern – in einer Größenordnung, die es ihm leicht machte, sämtliche Einkünfte für den Unterhalt aus seiner Tätigkeit in der Land- und Forstwirtschaft zu beziehen. Wahrscheinlich dienten seine umfangreichen land-wirtschaftlichen Erträge darüber hinaus auch dem Verkauf an jene Kunden Balves, deren dominante Erwerbstätigkeit im Handwerk lag. Zu seinem umfangreichen Besitz gehörte auch sein von der Landwirtschaft dominiertes Wohnwirtschaftsgebäude nebst Remise, wo er Geräte, Erntegut und Vieh unterbringen konnte. Wegen seines hohen selbst bewirtschafteten Grundvermögens, der Funktionalität seiner Gebäude und seiner Einkünfte aus der Land- und Forstwirtschaft wird Hermann Cordes mit Recht in Akten aus der Zeit um 1829 als einer der wenigen Bürger der Stadt als „Ackerbürger“ bezeichnet.
Die Gebäude des Ackerbürgers Cordes, errichtet aus Bruchstein und Fachwerk, entsprechen der in Balve charakteristischen Bauweise jener Zeit. Balve gehört zu dem Übergangsgebiet, in dem eine so genannte halbscheitige Bauweise aus Bruchstein und Fachwerk gepflegt wurde. Neuenrade zählt bereits zum sauerländischen Kerngebiet alten Steinbaus, Menden dagegen war von dieser Bauweise weit entfernt. Das Untergeschoss des Hauses Cordes wurde im Bereich der hinteren Traufenseite sowie des Anbaus aus Bruchstein errichtet. Die dem Regen ausgesetzte, westliche Giebelseite ist vollständig aus Bruchstein, während die beiden anderen, wettergeschützten Seiten vollständig aus Fachwerk bestehen und lediglich auf Bruchsteinfundamenten ruhen. Die Gefache des Hauses Cordes sind weitgehend aus Lehm-Flechtwerk geschlossen. In alten Aufnahmen von 1908 wird deutlich, dass der heutige Anbau und die Dachform nicht ursprünglich sind. Anfangs war das Dach bis über den Anbau lang geschleppt. Heute zeigt sich der Anbau als ein mehrstöckiger wuchtiger Gebäudeflügel mit hoher Giebelseite unter einem rechtwinklig zum Hauptstraße verlaufenden Satteldach. Er weist ebenso viele Stockwerke auf wie der Hauptbau. Die baulichen Veränderungen sind deutlich an der Hausecke zur nordöstlich gelegenen Giebelseite mit Deelentor erkennbar. Hier sind alte Gefache zum Teil entfernt und durch Mauerwerk ersetzt worden. Von der Fachwerkgiebelseite mit Deelentor aus betrachtet war das Hauptdach anfangs als Krüppelwalmdach einseitig ausgebildet; heute ist der Walm zurückgebaut, das Satteldach verlängert und durch Bretter im Giebelschild gefüllt. Die Giebelseite ist mit Fußstreben und Winkelhölzern reichlich verziert und damit Schmuck des Hauses. Die Verteilung der Fenster ist an der Traufenseite gleichmäßig, nicht aber an den beiden Giebelseiten. Die zwei zur Straße ausgerichteten kleinen Dachgauben sind nicht ursprünglich.
Cordes ordnete den Bau seinen Lebens-, Arbeits- und Wirtschaftsverhältnissen unter. Das Haupthaus wird durch eine tiefe, mit Hönnekieseln in Fischgrätmuster gezierte Längsdeele erschlossen. Hinter dem giebelseitig nicht ganz mittig angelegten vierflügeligen Deelentor setzt sich die Asymmetrie in der Nutzungsfläche fort: Rechts ist ein relativ großer Stall angelegt, der auch den Anbau einnimmt. Links dagegen, zur Straße hin, befindet sich ein kleiner Stall. Hinter diesem grenzt Wohnraum an. An der hinteren, zum regenreichen Westen gelegenen Giebelwand, die über zwei Geschosse aus Bruchstein errichtet wurde, befindet sich von der Deele abgetrennt die dunkle Küche. Deren zentrale Funktion im Hause wird durch einen jüngst wieder freigelegten Brunnen betont. Aussparungen in der Rückwand weisen auf einen starken Rauchfang hin. Der hier jüngst entdeckte Brunnen ist bis unter das Hönneniveau abgeteuft und wird wohl selten trocken gefallen sein. Über zwei Stiegen gelangte man von der Deele aus in das Obergeschoss, das weitgehend dem Wohnen diente. Erntevorräte wurden über dem rechten Stall und im Dachgeschoss gelagert. Von der im vorderen Bereich hoch angelegten Deele aus wurde Erntegut hinaufgestemmt. Das Haus ist im linken und hinteren Teil unterkellert und weist dort gerundete Mauerabschnitte in Bruchstein auf. Sie legen den Verdacht nahe, dass das Gebäude auf bereits vorhandenen Grundmauern errichtet wurde; auch kann man kleine Nischen nicht durch die üblichen Nutzungsbedürfnisse eines Ackerbürgers erklären. Die wenigen Kellerfenster lassen ausreichend Luft und Licht in den Keller. Das ebenfalls denkmalgeschützte Nebengebäude liegt weit von der Straße zurück und ist entsprechend an der hinteren Traufenseite nahezu drei Meter im hinteren Bereich im Erdreich eingelassen. Auch in diesem Gebäude wurde die zum Westen gelegene Giebelseite vollständig aus Bruchstein errichtet. Das ermöglichte dem Bauherren, seine landwirtschaftlichen Tätigkeiten im großen Hofraum hinter einer Mauer geschützt und auf Straßenhöhe auszuführen.
Die Grundfläche des Speichers ist heute nahezu dreigeteilt. Die heute mittig angelegte breite Tür ist nicht ursprünglich, und die beiden seitlichen einstigen Türöffnungen haben nur noch eine Funktion als Fenster; sie sind im unteren Bereich zugemauert. Das Gebäude diente im Untergeschoss wohl dem Unterstellen von Vieh wie den meist außerhalb des Wohnhauses untergebrachten Schweinen, wahrscheinlich auch Pferden für Spanndienste sowie den landwirtschaftlichen Geräten. Die einst innerhäusige Stiege ins Obergeschoss ist entfernt. Dem bruchsteinernen Untergeschoss ist ein Obergeschoss aus Fachwerk aufgesetzt, heute vom Rückraum aus zugänglich. Durch ein Zwerchhaus an der traufenständigen Straßenseite konnte Erntegut eingebracht werden.
Der Eigentümer baute das vom Verfall bedrohte Gebäude in den Jahren 2004/05 in Abstimmung mit dem Denkmalamt in Münster mit modernen Bauelementen und nach umfassender Renovierung zu einem modernen Bürogebäude um. Die Sanierungsmaßnahen waren so umfangreich, dass an dieser Stelle nur einige wichtige Ausführungsarbeiten aufgelistet werden können: Zahlreiche Stürze und Holzträger sowie durchfeuchtetes und vom Schimmelpilz befallenes Ständerwerk wurden erneuert, Böden und Decken in Waage gebracht. Weitere Neuerungen waren eine atmungsaktive Vollisolierung, eine moderne Heizungs- und Sanitäranlage, Versorgungsleitungen für Wasser und Strom sowie die Entwässerung. Es wurde eine moderne Treppenkonstruktion eingebracht. Die undichten Fenster wichen weitgehend schallgedämmten Kunststoff-Fenstern, um den Straßenlärm aus dem Haus zu verbannen. Die westliche Giebelseite aus Naturstein wurde von Putz und Schieferverschalung befreit und in ihren ursprünglichen Zustand versetzt. Außerdem erhielt das obere Giebeldreieck eine historisch angepasste Holzverschalung. Der bereits früher teilweise erneuerte Dachstuhl wurde mit Denkmalschutzpfannen komplett neu eingedeckt.
Wichtiges Ziel der Renovierung war die weitgehende Schonung der historischen Substanz. Die neue Innentreppe ist kein Imitat nach historischen Vorgaben, sondern folgt modernen Gestaltungsaspekten. Gläserne Füllungen von Gefachen betonen die Transparenz und den Lichtbedarf des Gebäudes. Glas bestimmt auch die Türen. Die Räume erfüllen den heute geforderten, modernen Bürokomfort. Sie sind nahezu ausschließlich von der zentralen Treppenanlage und den Podesten aus erreichbar.
Die Gebäudeanlage ist von hohem öffentlichem Interesse und ein für Balve äußerst wertvolles Gebäude, das – so das Denkmalamt – aus wissenschaftlichen, insbesondere baugeschichtlichen, volkskundlichen und städtebaulichen Gründen zu erhalten ist.
Abgedruckt in: Haus Cordes in Balve - DEVK Versicherungen, Balve 2005
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